Ihr Recht auf den Pflichtteil – aber nicht immer garantiert

Im deutschen Erbrecht ist der Pflichtteil ein starker Schutz für nahe Angehörige. Selbst wenn der Erblasser jemanden enterbt, bleibt ein gesetzlicher Mindestanteil bestehen. Doch es gibt Situationen, in denen der Pflichtteil entzogen werden kann. Diese Fälle sind gesetzlich streng geregelt – und oft Anlass für erbitterte Streitigkeiten.

Ich, Rechtsanwalt Helmut Kirchhoff aus Berlin, erläutere Ihnen, was Sie über die Enterbung und den Entzug des Pflichtteils wissen müssen.

1. Was bedeutet Enterbung?

Zunächst sollten Sie wissen: Eine Enterbung bedeutet, dass Sie von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen werden. Das kann z. B. durch ein Testament oder einen Erbvertrag geschehen.

Beispiel:
Der Erblasser setzt in seinem Testament ausschließlich seinen Lebensgefährten als Alleinerben ein. Kinder oder Ehepartner sind damit enterbt.

Wichtig:
Eine Enterbung allein beseitigt nicht automatisch den Pflichtteilsanspruch. Kinder, Ehegatten, Eltern (wenn keine Kinder da sind) und Enkel sind pflichtteilsberechtigt.

2. Pflichtteilsanspruch trotz Enterbung

Selbst wenn Sie enterbt wurden, haben Sie in der Regel Anspruch auf den Pflichtteil (§ 2303 BGB). Der Pflichtteil ist die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Er wird als Geldanspruch gegen den Erben geltend gemacht.

Beispiel:
Ein Erblasser hinterlässt zwei Kinder. Ein Kind wird enterbt, das andere Kind Alleinerbe.
➡️ Das enterbte Kind hat Anspruch auf 1/4 des Nachlasswerts als Pflichtteil.

3. Wann kann der Pflichtteil entzogen werden?

Der Pflichtteil kann nur in Ausnahmefällen entzogen werden (§ 2333 BGB). Das Gesetz spricht von Pflichtteilsentziehung. Es reicht nicht, dass ein Erblasser sein Kind oder den Ehegatten nicht mehr mag oder keinen Kontakt mehr hatte.

Die Gründe sind klar und abschließend definiert:

  1. Schwere Verfehlungen gegenüber dem Erblasser

  2. Straftaten gegen nahe Angehörige

  3. Verletzung von Unterhaltspflichten

4. Voraussetzungen der Pflichtteilsentziehung im Detail

Schauen wir uns die Gründe genau an:

a) Tötungsversuch oder schwere Misshandlung (§ 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB)
Wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser nach dem Leben trachtet oder ihn körperlich schwer misshandelt, kann der Pflichtteil entzogen werden.

Beispiel:
Ein Sohn schlägt seinen Vater mehrfach ins Krankenhaus.

b) Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr (§ 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB)
Wenn der Pflichtteilsberechtigte wegen einer vorsätzlichen Straftat zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde und der Erblasser die Tat als unzumutbar empfindet.

Beispiel:
Die Tochter wird wegen schweren Betrugs zu 3 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

c) Pflichtverletzung bei Unterhalt (§ 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB)
Wer dem Erblasser böswillig den Unterhalt verweigert, kann den Pflichtteil verlieren.

Beispiel:
Ein Sohn lässt seinen pflegebedürftigen Vater absichtlich verarmen, obwohl er zur Unterstützung verpflichtet wäre.

5. Form und Begründung der Pflichtteilsentziehung

Ganz entscheidend: Der Erblasser muss die Entziehung im Testament oder Erbvertrag ausdrücklich anordnen und den Grund nennen (§ 2336 BGB). Pauschale Formulierungen wie „wegen groben Undanks“ reichen nicht.

Beispiel einer wirksamen Formulierung:
„Ich entziehe meinem Sohn Max den Pflichtteil, weil er mich am 03.06.2022 körperlich schwer misshandelt hat.“

Fehlt eine präzise Begründung, ist die Pflichtteilsentziehung unwirksam – und der Anspruch bleibt bestehen.

6. Nachweis durch die Erben

Die Erben, die sich auf die Pflichtteilsentziehung berufen, tragen die Beweislast (§ 2336 Abs. 2 BGB). Das bedeutet: Sie müssen vor Gericht beweisen, dass der Entziehungsgrund tatsächlich vorlag.

7. Versöhnung des Erblassers

Hat sich der Erblasser später mit dem Pflichtteilsberechtigten versöhnt (§ 2337 BGB), ist die Entziehung automatisch aufgehoben. Auch das muss gegebenenfalls bewiesen werden.

8. Verjährung von Ansprüchen

Hat der Enterbte einen Pflichtteilsanspruch, gilt die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB), beginnend mit dem Ende des Jahres, in dem er von der Enterbung und dem Erbfall erfahren hat.

Wenn der Erbe die Pflichtteilsentziehung geltend macht, muss der Enterbte binnen dieser Frist aktiv werden.

9. Kann man sich gegen die Entziehung wehren?

Ja. Wurde der Pflichtteil entzogen, können Sie:

  • prüfen, ob der angegebene Grund tatsächlich vorlag,

  • prüfen, ob der Entziehungsgrund im Testament klar genug benannt wurde,

  • prüfen, ob sich der Erblasser später versöhnt hat,

  • fall nötig gerichtlich feststellen lassen, dass die Entziehung unwirksam ist.

10. Tipps für Betroffene

Wenn Sie enterbt wurden:
✅ Fordern Sie Einsicht ins Testament.
✅ Prüfen Sie, ob ein Pflichtteilsgrund korrekt genannt ist.
✅ Dokumentieren Sie, wenn es eine spätere Versöhnung gab.
✅ Lassen Sie Fristen nicht verstreichen.

Wenn Sie Erbe sind und Pflichtteilsentziehung geltend machen wollen:
✅ Stellen Sie sicher, dass die Begründung im Testament eindeutig ist.
✅ Sichern Sie Beweise (beispielsweise Strafurteile, Zeugen).
✅ Ziehen Sie einen erfahrenen Rechtsanwalt hinzu.

11. Beispiel: Enterbung mit und ohne Pflichtteilsentziehung

Beispiel A (Enterbung ohne Entziehung):
Der Erblasser enterbt seinen Sohn Max, weil er ihn nie besucht hat.
➡️ Kein Entziehungsgrund nach § 2333 BGB.
➡️ Max hat Anspruch auf den Pflichtteil.

Beispiel B (Enterbung mit Entziehung):
Der Erblasser enterbt seine Tochter und entzieht ihr den Pflichtteil, weil sie ihn mehrfach schwer körperlich misshandelt hat.
➡️ Pflichtteilsentziehung wirksam, wenn genau begründet und belegbar.

12. Warum anwaltliche Beratung entscheidend ist

Pflichtteilsstreitigkeiten sind hoch emotional und juristisch komplex. Ob der Pflichtteil wirksam entzogen wurde, kann oft nur ein Gericht endgültig klären. Als Fachanwalt für Erbrecht unterstütze ich Sie bei:

  • der Prüfung der Wirksamkeit einer Enterbung,

  • der Durchsetzung oder Abwehr von Pflichtteilsansprüchen,

  • der strategischen Beratung zu allen Schritten.

13. Fazit

Enterbung bedeutet nicht automatisch den Verlust des Pflichtteils. Der Entzug des Pflichtteils ist nur in extremen Ausnahmefällen möglich – und an strenge gesetzliche Voraussetzungen gebunden. Ein Testament muss den Entziehungsgrund konkret benennen, und der Erbe muss diesen nachweisen.

Wenn Sie enterbt wurden oder ein Testament überprüfen lassen möchten, stehe ich Ihnen als erfahrener Rechtsanwalt in Berlin zur Seite.

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